Donnerstag, 29. April 2010

Korsett

Gestern:
  • sieben Stunden Unterrichten – eh schon die Grenze meiner Belastbarkeit
  • dazu Ärger im Förderunterricht – nicht ursächlich wegen mir zwar, aber sonst zieht sich niemand diesen Schuh an
  • und massiv Tumult im 12er-Jahrgang – wirklich nicht von mir und meinem Kurs verursacht, tangiert uns aber und involviert nicht nur die Schüler, sondern auch mich in einem Maße, dass wir erregt drüber sprachen und ich anschließend zur Schulleitung ging, um übers weitere Vorgehen zu beraten (ja: wie dankbar kann ich sein, dort umgehend und auf diese Weise empfangen und aufgefangen zu werden!)
  • und erfahren vom Tod eines Schüler-Vaters, geredet mit J. – letzten Mittwoch hatte er mir erstmals vom Krebs, vom Sterben erzählt, viel länger wusste die Familie es selbst nicht – gestern war der Vater schon 5 Tage tot …
  • und Schulterklopfen eines Kollegen: „Viel Spaß“ – als alle Physikkollegen in ihrer Pause vor der Konferenz Pizza essen gehen, und nur ich meinen Förderunterricht zu halten habe (mit ner Latte von Schülern des schulterklopfenden Kollegen übrigens: da musste ich fast schon wieder lachen über den gewünschten Spaß – und den o.g. nichtangezogenen Schuh)
  • und Schulterstreichen eines anderen Kollegen, was denn mit mir sei – hätte er ne halbe Frage mehr gefragt, wäre ich in Tränen ausgebrochen
  • und in der Nachmittagskonferenz mit dem Fachleiter angelegt: war dann auch schon egal, und wenigstens ehrlich (und ein paar andere sind auf meinen Widerspruchs-Zug aufgesprungen: aha!)
  • und S-Bahn verpasst
  • und unendlich langsam gewesen bei allen Haushaltsverrichtungen
  • und die Erkenntnis: beim Bad-Putzen können Tränen unbemerkt und wohltuend fließen (Trost: für heute abend hätte ich noch das untere Bad …)
  • und Kinder, die nach dem Baden das Wasser mit Gießkannen auf den Badboden entleeren, was ihnen einen mütterlichen Tobsuchtsanfall und verspätetes Schlafengehen bescherte
  • und das alles vor dem Hintergrundrauschen meiner dröhnenden Sehnsucht …

Akku leer, total leer.


Heute:

Ähnliches Programm, nur dass ich die erste Hälfte zu Hause am Schreibtisch verbringe. Habe mir ne Liste geschrieben, weil es gefühlte 125 kleine Dinge sind, Schuldinge vor allem, die zum Teil Wochen überfällig sind (die genaue Anzahl will ich nicht wissen, das Blatt ist voll). Viele Dinge stammen aus den Tagen, an denen ich nach meinem inneren Rhythmus lebe, mich nicht in den Strudel hineinziehen lasse, an denen ich ganz in mir bleibe … Ja, ehrlich betrachtet: Genau an diesen Tagen bleibt all das liegen, was auf meiner heutigen Liste steht.

Heißt das, es ist einfach nicht zu schaffen, es sind zu viele Dinge, in denen ich zu funktionieren habe, so im ganz normalen Alltag?
Darüber darf ich heute nicht nachdenken – darüber, was zuviel ist und woraus ich mich lösen muss. Dafür ist heute kein Platz auf der Liste.

Genauso wenig wie für
  • tausend Türme im Haushalt – unsere Putzhilfe hat sich einen besonders geeigneten Zeitpunkt ausgesucht, um ein paar Wochen auszufallen :(
  • und meinen großen Nachdenk- und Redebedarf in der 12er-Sache, in der ich Rat von erfahrenen Kollegen bräuchte, da ich so gar nicht weiß, wie ich mich geschickt verhalten sollte
  • und den überfälligen Wunschgeburtstagskuchen für das mich morgen besuchende Patenkind (oh weh: morgen früh vielleicht noch schnell?)
  • und die seit Tagen abholbereit beim Optiker liegende Brille des Sohnes (vor Ende nächster Woche kein Nachmittag frei …)
  • und die noch nicht gekauften Sandalen für die Kinder (ebenso: vor Ende nächster Woche nicht – ist dies bei diesem Wetter zumutbar? es muss …)


Dass ich mich auf den Freundin-Übernachtungsbesuch am Wochenende nicht mal freue, sondern nur das herzurichtende Bett+Zimmer sehe, ist erschreckend.
Dass ich nächsten Mittwoch meine Abiturkorrekturen bekomme, sich aber in dem Zehn-Tage-Zeitraum bis zur Abgabe keiner der (mir zustehenden) schulfreien Tage einbauen ließ – das schiebe ich für heute erstmal aus meinen Gedanken.
Auch dass ich bis dahin sämtliche andere Korrekturstapel abgearbeitet haben sollte.
Und auch dass gleich nach diesen zehn Tagen die Tochter Geburtstag hat und ich noch so gar nichts …

Über all das darf ich heute nicht weiter nachdenken.
Nur wieder ab in mein Listenkorsett – weiter abarbeiten, Schritt für Schritt, bloß nicht aus dem Takt geraten dabei, bloß nicht aus der Funktionieren-Mühle herausschleudern lassen, für heute.
Das ist eng, aber es stützt und hält. Ist hilfreich für heute. Vielleicht. Abhak-Befriedigung erleben. (Bringt diese Befriedigung Frieden???)

***
Hinweis für mich:
Aufschreiben tut insofern gut, als ich sehe und dann weiß, dass es viel ist (und ich es mir nicht nur einbilde ...)
Und dringend zu lernen:
Schreiben als Boxenstopp sehen, nicht als Zeitverlust!

Mittwoch, 28. April 2010

Das Lied in mir

Neulich war ich mit dem Sohn im Familienkonzert, zusammen mit vielen begeisterten Kindern, mit vielen Erwachsenen. Witzig, originell inszeniert, zum Lachen, ein schöner Sonntagmorgen.
Doch zwischen den Lachemomenten steigt etwas in mir auf …

Ich sehe das Orchester auf der Bühne … wie viele unserer Chorkonzerte hat es uns begleitet … wie oft standen wir auf der Empore, Freitag Hauptprobe, Samstag Generalprobe, Sonntag Konzert, hinterher zum Griechen … immer mit diesen Musikern, genau mit diesen, die ich jetzt nur aus dem Publikum heraus sehe.
Es ist auch unser Theaterorchester … und ich sehe mich im Opernchor stehen, auf der Bühne … Chorproben im dunklen Keller … szenische Proben mit cholerischen Regisseuren … Pause in der Theaterklause … mit dem Oboisten über Gott und die Welt reden und - ja - auch lästern … Premierenfeier im Theaterfoyer … der unerschöpfliche Anekdotenvorrat des Cellisten … mit den Schlagzeugern auf Konzertreise … und der Kontrabassist: wie viele Probenstunden habe ich ihn beobachtet, wie er das Instrument streicht …
All meine Tage waren voller Musik, damals – durch jede einzelne Stunde habe ich mich hindurchgesungen. In meinen Musikwelten fand ich Geborgenheit, Beziehungswärme, Innigkeit. Nie verstummte das Lied in mir. Damals – wie lange das her ist …

So sehr, so sehr durchströmt mich die Erinnerung, während ich das Konzert durchlebe, am Sonntagmorgen. Das Konzert, in dem alle auf der Bühne sitzen, nur ich bin im Zuschauerraum. Dort als Zuschauerin wird es mir eng, bekomme ich kaum noch Luft. Kaum noch.

Anschließend, mit dem Sohn an der Hand durch die Stadt laufend, hinunter an den Fluss – noch mehr warm-schmerzende Erinnerungen erwachen. Und es regt sich in mir deutlich das leise Lied der Sehnsucht. Hält nicht länger still, wird laut und lauter, zieht und sticht und schmerzt. Überflutet mich, wird zum lauttönenden Sehnsuchtsgesang.
Ja, an der Hand meiner Singe-Sehnsucht steigen kleine und große Schwestern mit empor – ein ganzer Chor, der da in mir erweckt ist, stillbare und unstillbare Sehnsüchte, konkrete und diffuse, mir fest in die Augen schauende und gesichtslose …
Bald übertönen sie alles, lassen keine meiner Fasern unberührt. Hauchen über den stillen See meiner ungeweinten Tränen, bis sich seine Oberfläche kräuselt. Wehen immer mehr, immer stärker, wühlen ihn auf, peitschen ihn … bis er über die Ufer tritt, mein sonst so stiller Tränensee, da brechen Dämme … jetzt … JETZT!

Das Lied in mir, mein Sehnsuchtslied, es zieht. Es zieht mich. Wohin?

Dienstag, 27. April 2010

Bestanden

Gestern war U8, alles Mögliche wird überprüft. Während ich von unserem Kinderarzt sehr viel halte, gilt dies nicht für alle seiner Sprechstundenhilfen. Gestern, das war so eine …

Die Tochter hatte das wohl im Gespür. Startete mit Schweigen. Ließ sich dann von ihr durch Androhung von Belohnungsgummibärchenentzug (ich schüttele nur den Kopf) zur Kooperation bewegen. Zeigte, dass sie wie ein Adler sieht – „und auch wie einer hört“, kommentierte der Arzt später die Ergebnisse. Bis dahin wusste ich nicht, dass Adler schlecht hören ;-). Da das Hören aber letztes Jahr an der Uniklinik ausgiebigst getestet wurde, als sie noch kein Wort sprach, wissen wir, dass damals alles bestens war, die gestrigen Ergebnisse also vermutlich nur durch fehlerhafte Gerätebedienung (oder doch durch stillen Boykott ;-)) zustande kamen.

Nun, richtig spannend wurde es, als die altersgemäße Sprachentwicklung überprüft werden sollte. Ich hatte keine Ahnung, welches die Kriterien sind, erschloss sie mir erst im Laufe des Gesprächs, das meine Tochter mehr und mehr zu gustieren schien. Und ich auch. Aber hört selbst ….
(Zu schade, dass ich kein Diktiergerät mitlaufen ließ: ich vermute, ich habe die Hälfte der Dialoge noch vergessen. Jetzt beim Aufschreiben kommt es mir ganz und gar unglaublich vor - aber ich schwöre: es WAR so.)


Teil 1: Kann das Kind Farben benennen?
Sie zeigt ein knalleblaues Blatt – Tochter sagt „blau“.
Sie zeigt ein knallerotes Brillenetui – Tochter sagt „rot“.
Sie zeigt – gegen’s Licht – zwei Miniteilchen, dunkel, klein, krumpelig, kaum als Büroklammern zu erkennen – Tochter legt los: „Also da sind so Blätter, das macht man da so dran. Da immer oben an so Blätter, so mehrere Blätter.“ – Meine Güte, denke ich, was für komplizierter Wortschatz, der hier gecheckt wird. Die Sprechstundenhilfe macht nur „hm“, ich frage mich ernsthaft, ob ich in der Wortschatzarbeit mit meinem Kind arg zurück bin, doch schon geht es weiter …
Sie legt die Teilchen weg und zeigt ein Blanko-Rezept – Tochter kommt in Form: „Ein Blatt.“ – „Hm.“ – „Ein kleines Blatt. Das heißt Zettel.“ – „Hm.“ – Während ich jetzt eigentlich denke, dass man das besser nicht sagen könne, scheint es nicht zu befriedigen.
Die Sprechstundenhilfe zeigt auf den Hintergrund des Rezepts – aha – Tochter kapiert endlich: „grün“.
Bingo. So einfach hätten wir das haben können. Ach ja, die Büroklammern waren natürlich grün :)
(„Gelb“ hat sie vergessen zu überprüfen. Hoffentlich bemerkt sie’s nicht noch. Dann bekommen wir vermutlich einen Nachtermin ;-))


Teil 2: Kann das Kind Gegensätze benennen?
(Ich vermute, hier sollte „warm-kalt“ beherrscht werden.)
Wie ist es im Sommer?“ – „Da kann ich kurze Hosen anziehen, und Kleider …“ – „Ja, und wie ist es da?“ – „Da kann ich immer draußen spielen, im Rock, und wir gehen ins Schwimmbad.“ – „Ja, warum kannst Du denn kurze Hosen anziehen?“ – „Hm. Ich mag kurze Hosen. Ich hab eine blaue und eine rote.“ – (leicht ungeduldig) „Wie ist denn das Wetter im Sommer?“ – „Da scheint die Sonne, und man muss in den Schatten gehen, sonst schwitzt man.“ – „Ja, warum gehst Du denn in den Schatten?“ – „Weiß nicht. Mama sagt das. Und man muss Sonnencreme nehmen.
Zu dem Zeitpunkt grinse ich schon sehr. Wie die sich abmüht, und Töchterchen sich standhaft weigert, das Wortpaar „warm-kalt“ zu verwenden :)
Eigensinn aber auch.


Teil 3: Kann das Kind elementare Tätigkeiten benennen, etwa „essen“ oder „schlafen“?
Was machst Du, wenn Du hungrig bist?“ – „Ich geh an den Schrank und nehm mir was raus. (verstohlener Seitenblick zu mir) Nur manchmal nehm ich was raus. (noch ein Blick zu mir) Und ich mach den Schrank immer wieder zu.“ – „Was nimmst Du denn da raus?“ – (wieder Blick zu mir) „Rosinen, Nüsse, Zwieback …“ – „Aha, und was machst Du dann damit?“ – „Das halte ich ganz fest. In der Hand. Die muss ich fest zumachen. Damit das nicht auf den Boden fällt. Denn dann müssen wir das wieder zusammensammeln, das wollen wir doch nicht …“ – (Ich kann mich kaum mehr halten, dass ich nicht lospruste.) – „Ja, gut. Aber das, was Du da in der Hand hältst, was machst Du dann damit?“ – „Das stecke ich dann in den Mund. Und ich pass immer auf, dass nichts runterfällt.“
Hier gibt sie auf – das Wort „essen“ will und will nicht fallen.
Einer noch:
Und was machst Du, wenn Du müde bist?“ – „Dann gehe ich ins Bett." – „Und dann?" – „Dann liest die Mama was vor." – „Und dann?" – „Dann klettere ich wieder raus, und dann ruft mich die Mama." – „Und dann?" – „Dann kuscheln wir. Manchmal stehe ich wieder auf, und dann schimpft die Mama." – (letzter Versuch) „Und dann?" – „Aber die Augen mache ich nicht zu …
Die Sprechstundenhilfe wird ungeduldig: „Ja, was macht man denn, wenn man müde ist?“ – „Weiß ich nicht.“ (koketter Blick zu mir) – Und nun ziemlich ungehalten: „Was macht denn die Mama, wenn sie müde ist?“ – „Weiß ich nicht. – Ähm. – Ach so, die geht hoch in ihr Arbeitszimmer …
In dem Moment kann ich nicht mehr an mich halten. Und die Sprechstundenhilfe lässt ab von uns.

Die Prüfung ist endlich vorbei.
Hätte man der Tochter den Auftrag gegeben, die Wörter warm-kalt-essen-schlafen um jeden Preis zu vermeiden – sie hätte es nicht besser machen können!
Danke für das Vergnügen, Dir zuhören zu dürfen, Tochter!

Natürlich „bestehen“ wir die U8. Aber ich werde nachdenklich. Es wird nicht die letzte Situation in ihrem Leben gewesen sein, in der gewisse Standardantworten von ihr erwartet werden und sie genau diese nicht erbringt.
Hoffentlich bleibt sie dann immer so geduldig mit ihren „Prüfern“ wie gestern.
Vor allem aber: Hoffentlich lassen ihre „Prüfer“ sie dann auch immer „bestehen“, wie gestern. Wenn sie sich anders gibt als erwartet, als vorgegeben, als genormt, als geplant. Wenn sie ganz anderes tut als das, was man jetzt von ihr möchte.
(Nein, ich denke nicht primär an künftige Arztbesuche. Ich denke an die vielen Jahre Schulzeit, die vor uns liegen. An Kinder, die „durchfallen“, weil sie keine Standardantwort auf Standardfragen, kein Standardverhalten, kein Standardwesen zeigen. Weil jemand Blindes auf sie schaut. Und ich frage mich, wie oft ich wohl schon blind gewesen sein mag - gegenüber Schülern, gegenüber meinen eigenen Kindern.)
Danke für diese Lektion, Tochterkind!

Samstag, 24. April 2010

Akt 8 bis 18

Es ist ungleich einfacher, über Empörendes, Katastrophales und unglücklich Gelaufenes zu schreiben als über Unspektakuläres, Glattgegangenes, Ruhiges und Selbstverständliches.
Was also soll ich erzählen von Akt 8 bis 18?! Alles ist gut gegangen. Folglich langweilig zu berichten:
Wir sind einfach in den Zug eingestiegen (morgendliche Berliner-Berufsverkehrs-Benutzer würden uns um die Geräumigkeit der „bereits nahezu vollständig ausgereizten“ Kapazitäten beneiden).
Wir haben einfach am Automaten im Zug die letzte Fahrkarte gekauft.
Wir sind einfach umgestiegen.
Wir haben einfach im Zug das restliche Geld und die Unterschriften der Eltern eingesammelt – und alle hatten es dabei.
Wir sind nochmals einfach umgestiegen.
Wir brauchten uns nicht weiter zu ärgern, dass wir im Zielort nicht alle in einen Bus passen, denn dieser fuhr uns sowieso vor der Nase weg.
Wir wanderten also einfach mit 100 Schülern quer durch den kleinen Ort, unbehelligt von den Aufregungen des Straßenverkehrs (der fließt dort um diese Tageszeit offenbar noch nicht), und die Schüler liefen einfach ohne zu murren mit.
Soweit der Hinweg.

Müßig zu erzählen, dass danach einfach alle ihre Kletterausrüstungen bekamen, eingewiesen wurden und los ging’s.
Fotos habe ich leider nicht geschafft zu machen, aber um eine Vorstellung zu bekommen: So sieht es dort aus. (Die Bilder lassen sich großklicken.)

Vom Rückweg der Großgruppe weiß ich nichts, was ein gutes Zeichen ist. Lief vermutlich ebenso langweilig und unspektakulär ab wie die Hinfahrt. Ich jedenfalls fuhr zur ursprünglich geplanten Zeit mit etwa 20 Schülern nach Hause, die einen dringenden, nicht verschiebbaren Termin hatten. Alle anderen – wirklich! – waren so begeistert beim Klettern, wollten verlängern und fuhren 1 oder 2 Stunden später zurück.
Rundum gelungener Tag.

Von unserer Kleingruppenrückfahrt gibt es auch nichts Aufregendes zu berichten, außer dass wegen Verspätung das letzte Umsteigen arg knapp war. Ich instruierte die Schüler also in der Straßenbahn, nun zügigst zum S-Bahnsteig zu flitzen, so schnell es eben ginge, und wenn alle angekommen wären, könnten wir einsteigen.
Was machen meine 12er? – Die rennen vor unseren Augen über die rote Ampel. Klar: zur Abfahrt bleibt nur noch eine Minute. Neben mir stehen die 7er und 8er (ihre Termine vor Augen) und quengeln: Frau Rebis, können wir nicht auch? Um uns rennen alle (alle!!!) Erwachsenen über diese rote Ampel. Kein Auto weit und breit, gut einsehbar – wir sind die einzigen, die da noch stehen. Die Kinder quengeln, und ich ringe mit mir, ob denn jetzt nicht auch oder nicht … Blöd, das. Vor allem, weil es ringsum so selbstverständlich ist, über rote Ampeln zu gehen. --- Puh, zu meiner Erleichterung schaltet die liebe Ampel, während ich noch am Ringen bin, auf Grün. --- Und freundlicherweise hat die S-Bahn 5 Minuten Verspätung.
Alle pünktlich zu Hause, alles glattgegangen.

Mein restlicher Tag fand im Gartenliegestuhl statt. Ich bin nach einem solchen Tag k.o., selbst wenn alles klappt, weil die ganze Zeit eine gewisse Anspannung in mir ist, ob denn jetzt … und ob noch alle da sind … und ob jetzt nicht …
Es gibt Kollegen, die empfinden Wandertage und Klassenfahrten weit nicht so stressig wie ich – für mich sind sie mit vom Schlimmsten. (Und der öffentliche Nahverkehr mit seiner Unfähigkeit tut sein Übriges dazu.) Hätte ich die Wahl, würde ich statt eines Wandertages lieber einen schulweiten Wettbewerb organisieren und durchführen oder einen Zusatzstapel Abiture korrigieren oder den ganzen Tag unterrichten oder mit einer „schlimmen“ Klasse sozialkompetenzfördernde Spiele im Klassenzimmer durchführen oder oder oder.

Naja, bisher habe ich noch jeden Klassenausflug überlebt. Aber wenn ich hinterher sage, es war schön – so wie gestern –, dann meine ich ein anderes Schön als bei privaten Ausflügen. Mein eigener Vergnügungs- oder gar Erholungsfaktor hält sich nämlich sehr in Grenzen. Zwar bin ich gestern auch geklettert, aber es war ein himmelweiter Unterschied zum Klettererlebnis auf einem Lehrerausflug vor ein paar Monaten. Damals, das war mein Erleben, gestern, da war ich allzeit in der Lehrerrolle.

(Vom Kletter-Erleben schreibe ich dann nochmal extra, vielleicht.)

Donnerstag, 22. April 2010

Kurzurlaub!

Morgen nämlich: Weil die Hälfte von uns mit Abikorrekturen am Schreibtisch sitzt, veranstaltet die andere Hälfte einen schulweiten Wandertag. Wie jedes Jahr am Freitag um diese Zeit.

Vorspiel (schon länger her)
Wie jedes Jahr stellt sich bei der Wandertagsplanung heraus, dass die Anzahl der verfügbaren Lehrer die Anzahl der wandernden Klassen nicht sehr übersteigt. Nicht so jedenfalls, dass mit jeder Klasse zwei Lehrer mitgehen könnten, wie es vorgeschrieben ist. Wie jedes Jahr rotten wir uns daher zu Großgruppen zusammen, damit es aufsichtspflichtmäßig hinkommt. Diesmal: Kollegin K. und Kollege G. mit einer 7. und einer 8. Klasse, dazu ich mit 45 12ern (die sind mir für morgen zugelaufen, nur die Hälfte sind sonst meine). Summa summarum 100 Schüler mit 3 Lehrern (aufsichtspflichtmäßig grenzwertig, aber von der Schulleitung abgesegnet).
Ziel: ein Kletterwald – das passt für jedes Alter und ist gut mit den Öffentlichen zu erreichen.

Akt 1 (vor etwa 3 Wochen)
Wie jedes Jahr teile ich dem zuständigen Kundenberater der Bahn per Mail mit, zu wievielt wir wann auf welcher Strecke unterwegs sein werden, damit zusätzliche Waggons angehängt werden. Die Rückmail lautet wie immer: es gehe alles in Ordnung, anderenfalls setze man sich mit mir in Verbindung. Lediglich die letzte Busverbindung im Zielort, die solle ich per Anruf abklären, das wäre nicht im Zuständigkeitsbereich der Bahn.

Akt 2 (vor etwa 2 Wochen)
Ich erreiche endlich jemanden beim Nachbarverkehrsverbund und teile mein Anliegen mit. Die Antwort lautet kurz: Nein. Wie bitte, frage ich irritiert zurück. Nein, ertönt es nochmals. Man habe nur diesen einen Bus (hä?), und der habe nur 60 Plätze und fahre nur alle 30 Minuten. Also nein. Wie aber solle ich, frage ich zurück, den jungen Menschen die Attraktivität des öffentlichen Nahverkehrs nahebringen, wenn es ein (größeres!) Verkehrsunternehmen nicht bewältige, uns nach Voranmeldung einmalig für eine kürzere Strecke zu transportieren??? Warum wir denn bitte auch mit 100 Personen unterwegs sein müssten. Darüber mag ich mit der Dame jetzt nicht diskutieren, ebensowenig darüber, warum wir nicht per Schiff oder Flugzeug anreisen oder den Wandertag grillend auf dem Schulhof verbringen. Wenn sie uns jetzt einen Bus abstelle, bekäme sie Ärger, und daher laute ihr letztes Wort: Nein.
(Ich erinnere mich an meinen letztjährigen langandauernden Briefwechsel mit der Deutschen Bahn, bevor diese sich in der Lage sah, uns mit 90 Schülern in einem ICE nach Berlin zu transportieren. Für ein solches Engagement fehlen mir jetzt Zeit und Raum, ich gebe also auf.)

Akt 3 (vor drei Tagen)
Nach Rücksprache mit den Kollegen K. und G. und reiflicher Überlegung entscheiden wir, dass jeweils die Hälfte unserer Riesengruppe die letzten 3 km zum Kletterwald zu Fuß zurücklegt – auf dem Hinweg die einen, auf dem Rückweg die anderen. Dann ist die Kletterzeit etwas knapper bemessen, aber der Wandertag macht seinem Namen alle Ehre. Der Tagesablauf ist jetzt minutiös durchgeplant, es muss alles wie am Schnürchen laufen, aber ich mache meinen 12ern die Planabänderung damit schmackhaft, dass sie nun altersangemessene Verantwortung übernehmen und die Kleinen während des Fußmarsches beieinander und im vernünftigen Tempo halten könnten - die 12er zeigen eine gewisse Vorfreude auf diesen Teil der Reise :))

Akt 4 (heute, gegen 16 Uhr)
Ich plane auf dem Rückweg von der Schule am Automaten die Fahrkarten zu kaufen. Genug Geld habe ich dabei. Ich tippe ein: Zielort – Tageskarte – Für-5-Personen – Gültigkeit: ab morgen 8 Uhr – Bezahlen – weitere Fahrt lösen – Zielort – Tageskarte - …. usw usw. Bis ich die Anzahl beisammen habe und 120 Euro auf dem Display erscheint. Ich will zahlen – tja – und bemerke zu meinem Erstaunen, dass dieser Automat der neuen Generation nur noch 10- und 5-Euro-Scheine annimmt. Pech gehabt, denn mit so vielen Kleinscheinen kann ich nicht dienen. Vorgang abbrechen, schnell nach Hause, der Tag ist ja noch lang.

Akt 5 (heute gegen 16.30)
Ich öffne das Email-Postfach und sehe eine Mail unseres freundlichen DB-Kundenberaters. Gesendet heute, 14 Uhr 06. Na, denke ich hochoptimistisch, der will uns bestimmt eine gute Reise wünschen und sich für die gute Zusammenarbeit bedanken. --- Knapp daneben – er bedankt sich nämlich für mein Verständnis. Weil die Gruppenreservierungsstelle soeben (sic!) festgestellt habe, dass die Kapazitäten in den von uns geplanten Zügen – ich zitiere – „bereits nahezu vollständig ausgereizt“ sind. Wir werden daher gebeten, uns auf folgende zwei Verbindungen aufzuteilen …bla bla bla … Ich überfliege kurz, stelle fest, dass unser Wanderzeitplan damit völlig aus den Fugen gerät und außerdem die zweite Gruppe eine halbe Stunde später als geplant wieder daheim wäre.
Lieber Herr Kundenberater, haben Sie sich eigentlich mal überlegt, wie ich am Vortag um 14 Uhr 06 die Eltern von 100 Schülern erreichen und über eine verspätete Ankunftszeit informieren soll, damit diese in der Folge ihre Ballettunterrichts-, Großtantenbesuchs- und Wochenendverreisepläne abändern? Und außerdem haben Sie wohl aus den Augen verloren, dass mein heutiger Nachmittag doch mit Akt 4 und Akt 7 gefüllt sein wird? Lieber Herr Kundenberater, ich bitte meinerseits um Verständnis, dass ich kein solches aufbringen mag :(

Akt 6 (heute zwischen 16.30 und 17.00)
Ich laufe nachsinnend in meinem Arbeitszimmer umher, entscheide nach kurzer Überlegung, meine Kollegen nicht auch noch damit zu beunruhigen, und nach längerer Überlegung, den morgigen Tag dennoch wie geplant zu starten. Schließlich hat mein Herr Kundenberater keine Ahnung, wie eng sich unsere Schüler stapeln lassen (unser Schulgebäude hat uns in dieser Disziplin zu Profis werden lassen :)). Vorausgesetzt, wir erwischen morgen zufällig einen Zug, an dem keine Tür fehlt … denn dass uns ein Schülerlein herausweht, das wollen wir denn doch nicht riskieren.

Akt 7 (heute zwischen 17.00 und 18.00)
Ich weiß jetzt endlich, warum ich die 300 Euro Kleingeld, neulich beim Mathewettbewerb eingesammelt, noch immer in der Kiste liegen habe. Stopfe einen Teil davon in eine Tüte, die neugierige Tochter ins Auto und begebe mich erneut zum Fahrkartenautomaten (siehe Akt 4).
Es folgt das bekannte Eintipp-Prozedere: Zielort – Tageskarte – Für-5-Personen – Gültigkeit: ab morgen 8 Uhr – Bezahlen. Beschließe gleich zu zahlen: Münze, Münze, Münze … heraus kommt die erste Fahrkarte. Nicht so bei der zweiten: als ich zwei Euro vor dem Zahlziel bin, fällt die Münze durch, der Schlitz verschließt sich, „Vorgang abgebrochen“, höhnt mir der Monitor entgegen. Nächster Versuch: langes Eintippen, Zahlversuch, Abbruch. Nächster Versuch: dito. Nächster Versuch: ich setze meine 5- und 10-Euro-Scheine ein: gelungen. Weiterer Versuch: Scheitern. Zwischenidee: ich eile zu den Reisenden auf dem Bahnsteig und tausche Münzen gegen alle verfügbaren 5- und 10-Euro-Scheine. Kampf mit dem Automaten, der inzwischen schon nichts mehr von mir will, auch keine Scheine. … Irgendwann gebe ich entnervt auf - als nämlich die Tochter vor Langeweile anfängt auf der Hauptverkehrsstraße zu tanzen. … Und ein Fahrschein fehlt mir immer noch …

Morgen dann:
Akt 8: Kauf des letzten Gruppenfahrscheins
Akt 9: Stopfen der Schüler in einen Zug
Akt 10: Umsteigen, wiederum Stopfen der Schüler in einen Zug
Akt 11: siehe Akt 10
Akt 12: zügigst zum Ziel wandern
Akt 13: ein wenig klettern
Akt 14: zügigst zum Bahnhof wandern
Akt 15: siehe Akt 9
Akt 16: siehe Akt 10
Akt 17: siehe Akt 10
Akt 18: Tränenreiche Szenen auf dem Heimatbahnhof: Ca. 100 Mütter nehmen ihre pünktlich oder unpünktlich, aber jedenfalls überhaupt zurückgekehrten Kinder in die Arme.
(Ob Akt 13 aus Zeitgründen gestrichen werden musste, spielt in dem Moment keine Rolle mehr. Alle sind froh über den glücklichen Ausgang des Wandertages.)
Akt 18 (alternativ): Wir stranden irgendwo unterwegs: als Schwarzfahrer oder weil wir nicht schnell genug wanderten oder weil wir uns nicht dünn genug machten beim Stopfen. Für diesen Fall haben wir ein Dutzend guterprobte Schüler dabei, die gerade in jüngster Vergangenheit ihre Flexibilität und Spontaneität bei unvorhergesehenen Reiseabläufen unter Beweis gestellt haben. Diese werden uns Lehrer beim eventuellen Krisenmanagement kompetent unterstützen können.


Ja ja, Lehrer haben nicht nur vormittags Recht und nachmittags frei, sondern kommen zudem in den Genuss des einen oder anderen zusätzlichen Urlaubstages. So wie morgen eben. Einfach mal klettern gehen …

(Besser dran sind da nur noch meine Kollegen M. und J.: Die durften nämlich letzthin – während o.g. Schüler in o.g. Flexibilität und Spontaneität erprobt wurden – ihren Irlandurlaub um eine komplette Woche verlängern. Eine komplette Woche! Zusätzlich zum Jahresurlaub! Dabei auch noch tagelang Schiff fahren, Bus fahren, attraktive Landschaften besichtigen (Wales, England, Holland …) … hach!)

Dienstag, 20. April 2010

Ein Moment nur

Da ist immer diese Montagsstunde – der Sohn hat Klavierunterricht.
Ich kann sie im Aufenthaltsraum verbringen. Mit anderen Müttern in zugig-düsterer Atmosphäre wartend, in ungewollten Smalltalk verwickelt, von gestressten Kleinkindmüttern angesteckt, auf die Uhr schauend.
Ich kann schnell etwas erledigen – Einkauf, Post, Baumarkt – das Zeitfenster reicht für manch Nützliches.

Oder ich kann die Stunde zu meiner Stunde machen, zu meiner Fluss-Stunde.
Mit oder ohne Tochter. Heute mit ihr.
Mit oder ohne Buch, mit oder ohne etwas zu schreiben, mit oder ohne Kamera. Heute ohne alles.
Nur ich, und sie, und der Fluss.

Himmel, Wasser, Berge, Blütenbäume.
Sonne, Wind, und der kühle Stein, auf dem ich sitze.
Einige Enten, zuweilen Spaziergänger, andere Kinder, andere Mütter.
Wasser plätschert, Kirchenglocken läuten, ein Zug fährt, und viele Autos (manchmal weniger, wenn auf der Brücke Rot ist).
Buntes Geräuschgewirr, von allem etwas.
Buntes Lebensgefühl, von allem etwas.

Ich sehe meine Tochter:
Wie ihre Haare vom Wind durcheinandergeworfen, von ihren Händen immer wieder aus Stirn und Augen gestrichen werden, wie sie Kreuze und verworrene Muster bilden – ein gänzlich unvorhersehbares Weben.
Wie ihre Augen mal blinzeln, mal sich als Schlitze der Sonne zuwenden, mal mit mir sprechen, mal weit aufgerissen und staunend das alles betrachten – ein Spiegel des Lebens um uns.
Wie sie fasziniert die Enten betrachtet und mir in ihrer Sprache mitteilt, was sie an ihnen sieht, was sie sich fragt, was sie verwundert.
Wie mein Kind die Fluss-Welt mit seinem Wesen erfüllt – wie es die Enten füttert, wie es sich durch einen Sprung vom Steinhügel in ein Fliege-Gefühl versetzt, wie es mich durch eine warme Zwischendurchumarmung in sein Welt-Erleben miteinbezieht …

Wie mein Kind von all dem tief erfüllt ist.
Und ich mit ihm.
Und um uns herum Himmel, Sonne, Wind, Wasser, Stein …
Es ist vollkommen.
Mehr brauche ich nicht.
Hier, genau so, würde ich meinen letzten Tag verbringen wollen.
Wenn ich denn die Wahl hätte …

In meinem Rücken wird ein Fenster geöffnet: ein junger Posaunist übt sich an Dreiklängen durch alle Tonarten, legato und staccato. Seine Melodie fließt oder hüpft hinauf und hinunter, die Töne mal stimmig, mal nur nah am Gemeinten. Hier eine kleine Verzögerung, da ein Rhythmussprung, allezeit Unregelmäßigkeit … ich höre fasziniert zu. Dieser Melodie, dieser so unvollkommenen, dieser so vollkommenen …

Wie lange üben wir an unserer eigenen Lebensmelodie? Bis wir sie erlauscht haben, bis wir sie spielen, wie sie gemeint ist. --- Oder nein: bis zum Gemeinten gelangen wir noch nicht, können, dürfen, wollen wir vielleicht nicht gelangen? Oder erst im Schlussakkord? --- Soll ich nicht eher erkennen, dass sie so, wie sie ertönt, zu einem jeden Zeitpunkt, vollkommen ist? Und unvollkommen – beides in Einem?

Üben, ich werde weiter üben. Mich erfreuen an meiner eigenen kleinen Melodie, wie sie auch sei. Ihr lauschen – ihr, wie sie ist, und ihr, wie sie gemeint ist. Das Zusammenspiel von ich bin und ich werde begreifen … mit meinen Fingern auf der Seelentastatur.
Und wenn meine kleine Lebensmelodie dann noch eine solche Schlussharmonie vorgesehen hätte wie diese Stunde am Fluss … einst … ach …

Ein kleiner Moment nur war das gestern.
Ein glücklicher Moment.
Ein einziges tiefes Einatmen.
Ein Alles.

(Ein Etwas, das sich in Worten nicht beschreiben lässt. Dies war ein Versuch in mehreren Anläufen. Daher auch steht oben im Text noch „heute“.)

Samstag, 17. April 2010

Sonnentulpen



Wenn dich plötzlich das starke Gefühl erfasst,
der, den du geliebt hast und liebst,
sei dir nahe,
er habe dir ein Zeichen gegeben,
dann lass dich nicht irre machen. Nimm es an.

Ich bin überzeugt, dass es mehr Verbindungen gibt,
zwischen denen und uns hier,
als die meisten von uns heute meinen.

Ich glaube, dass ein Mensch, zu dem wir reden
in der Stunde nach seinem Sterben,
hört, was wir ihm sagen,
und dass die Toten uns Zeichen geben.

Wir brauchen dazu keine besonderen Fähigkeiten.
Wir müssen nur wissen dass die Wand dünn ist
zwischen jener Welt und der unseren.

Werden wir uns also wiedersehen?
Unser Auftrag auf dieser Erde ist der,
an Liebe reicher zu werden.
Und ich glaube, dass die Liebe,
die uns gewachsen ist, nicht verloren geht.
Ich glaube an ein Finden und Begegnen -
wie immer es dann geschehen sollte -
wie hier, so in der anderen Welt.

(Jörg Zink)



Für Mirjam.

Donnerstag, 15. April 2010

Frei werden

Da sind so kleine Dinge …

… mir wochentags überlangen Mittagsschlaf zugestehen, wenn und weil es nötig ist,
… ein Buch nicht weiterlesen, wenn ich nicht warmwerde damit,

… aussprechen, was auszusprechen ist,
… mich in der Schule nicht um das Einsammeln des Theatergeldes kümmern, weil sich auch sonst niemand drum kümmert – mal schauen, was dann passiert,
… abends hier nichts hineinschreiben, wenn es sich nicht schreibt,
… ein kleines Nein ein bisschen lauter sagen,
… die Tochter mit langen knetegefüllten Fingernägeln in den Kindergarten schicken, wenn die Säuberung zu großem Morgenkampf führen würde, den wir alle vor der Schule nicht gebrauchen können,
… das Haus nicht vorher aufräumen, wenn mal wieder eine Schülermutter hier auftaucht,
… mich lange nicht melden, weil es nicht die Zeit dafür ist,
… nicht dran denken, was all die Nachbarschaft über unsere unkrautüberwucherten Pflasterwege denkt (und überhaupt: Un-Kraut, was ist das für ein Un-Wort für ein Lebendiges?!),
… mich krank melden, wenn ich weiß, dass es besser wäre,
… diese Liste hier veröffentlichen, obwohl sie zufällig und unvollständig scheint,


Ich weiß ja, das sind keine bedeutenden Dinge. Sie kreuzten allesamt in den vergangenen 24 Stunden meinen Gedankenweg. So viele kleine Knoten, die ich mir tagtäglich selbst in den Weg lege ...

Lacht nicht drüber – manches davon fällt mir verdammt schwer. Manches kann ich noch gar nicht, übe mich dran, will mich üben.
Es sind oder wären Dinge, die mich befreien würden: von Zwängen, denen ich mich selbst aussetze. Dinge tun, weil andere meinen, man solle … Dinge tun, weil ich schon immer … Dinge tun, weil doch alle … Dinge tun, weil eigentlich … Dinge tun, weil sonst …

Ja, was „sonst“???
Nicht mehr an das „sonst“ denken – das wäre Befreiung!
(Und meine „eigentlich“s sind so verlogen wie verführerisch, wenn ich sie mir auf der Zunge zergehen lasse. Ich sollte das Wort aus meinem Wortschatz streichen.)

Also dann: Befreiung in den kleinen Dingen, mit kleinen Schritten.
Wenn ich es schon dort nicht schaffe, wie kann es dann im Großen gelingen???
Ich übe. Ich übe weiter.

Dienstag, 13. April 2010

Großaufnahme

Wann immer ich durch meine Tage gehe, trage ich meine Brille auf der Nase. Dass diese mir die Dinge nicht nur scharfstellt, sondern auch noch verkleinert, las ich erst kürzlich wieder, in meinem Schülerphysikbuch. Ansonsten merke ich das nicht: alles ist so groß wie es eben immer ist, für mich.
(Doch, ich erinnere mich aus meiner Kontaktlinsenzeit, da fiel es mir auf: schaute ich mit Linsen auf meine Füße, waren diese plötzlich ungewohnt groß. Mit Brille sind sie ganz normal groß.)

Kürzlich, da ergab es sich, dass ich lange mit der Tochter ganz nah beieinander lag, im innigen Gespräch, und es war morgens, ich noch ohne Brille. Noch nie hatte ich es bemerkt: wie nah ich ihr so sein darf.
Und wie groß alles in ihrem Gesichtchen wird:
die Wimpern noch länger als sonst,
riesige Augen, die Fenster sich in ihnen spiegelnd,
die kaum sichtbaren Grübchen, plötzlich wie kleine Abgründe,
das lebendige Kräuseln der Oberlippe, wenn sie eine schelmische Antwort vorbereitet,
verschmitzt zuckende Mundwinkel,
die feinen Härchen auf der Nase,
die kleine Scharte in der Lippe - Tische haben einfach die falsche Höhe :(,
die Äderchen auf den Lidern,

kleine Tobespuren auf der Stirn,
unendlich viel zarteste Haut,
lustige Fältchen beim Blinzeln,
alles so nah, so groß, so bedeutend, so lieb.

Ich sollte öfter ohne Brille schauen.
Nicht nur auf meine Tochter, übrigens.
Manches ist größer als wir annehmen. Und näher.

Sonntag, 11. April 2010

Stapelweise Lebensweise

Manchmal, da will ich zuerst das Eine tun, und zuerst das Andere, und am liebsten auch noch ein anderes Anderes – alles gleichzeitig, und das geht nicht. Ich entscheide also, welches das zuerstere Zuerst und welches das spätere Zuerst sein soll, und welches das letzte Zuerst.
Manchmal, da wird es gar nicht weniger, was sich in meinem „Ich will“-Stapel auf die Zuerst-Stelle drängelt.
Manchmal, da erfasst mich darob ein ungeduldiges Kribbeln (alles lesen, vieles schreiben, manches sagen wollen), manchmal ein schlechtes Gewissen (weil Email-Fächer und Briefkästen lieber – auch mitlesender – Menschen leer bleiben), manchmal irre ich umher und verzettele mich.
Und dann sind da noch der „Ich muss“- und der „Ich sollte“-Stapel, im steten Bemühen, ihre Macht über mich nicht aus der Hand zu geben.
Manchmal …

Heute, da war es anders. Habe einem jeden Moment abgelauscht, welches Zuerst gerade ans Tor klopft. Ich hörte gut zu, der Augenblick sprach eine deutliche Sprache:
gelesen und Tee getrunken in unserer Lese-Gartenblick-Ecke,
dick eingemummelt auf der Gartenliege dem Geräusch des Hagels zugehört, und gleich darauf vom Sonnenstrahlenspiel im Schilf des letzten Jahres geblendet worden,
lange das Gesichtchen der Tochter aus allergrößter Nähe betrachtet,
tief geatmet,
herzhaft gelacht,
versunken im Garten spaziert,
tag-geträumt,
geschwiegen

vertrödelt“ nannte der Mann den Tag, „wunderbarst“ sagte ich.

Meine anderen Stapel waren fern, ihre Macht spürte ich nicht. Der Tag verlief ohne innere Reihenfolge-Rangeleien, das jeweilige Zuerst war so selbstverständlich, so klar …
Vielleicht ist es nur ein unseliges Bild, alles in „Ich muss“- und „Ich soll“- und „Ich will“-Stapel einzuteilen. Vielleicht gibt es nur einen einzigen, einen „Ich bin“-Stapel. Der vielleicht noch nicht mal ein Stapel ist, eher ein ausgebreiteter Teppich buntester Lebensmomente. Und ich darf darauf umherwandeln.

Stapel-Weisheit:
Das Leben ist nicht Stück für Stück abzuarbeiten, nein, es liegt mir zu Füßen.
Stapel-weise leben:
Ich lausche dem Augenblick und setze meine Schritte dann selbst, auf dem Lebensteppich.
Lebensweiser Tag, heute.

Morgenglockenläuten

wollknäuelgleich – dieses Wort fliegt mir in den halbschlafenden Sinn, dieses Wort für den erwachenden Tag, als sei er wie ein verwickelter Faden, den abzuspulen, auszurollen, sichtbar zu machen, in ganzer Länge mit allen Farben nun vor mir liegt. Dieser Tag, traumgetränkt …

***
Zwei Schalen, gelb und orange, stehen mir deutlich vor dem halbwachen Auge. Schalen: mit Nährendem, zum Trinken, zum Ausschenken. Oder waren sie leer? Zu füllen noch? Ich weiß es nicht mehr, mein Traumbild zeigt mir nur Form und Farbe.
***
Und eine Geisterfahrerbegegnung, irre Typen in schrottaltem Auto, die sich anschickten … wir waren in der richtigen – der üblichen – Richtung unterwegs, blickten ihnen nach, was nun gleich geschehen würde, sollten sie beschleunigen …
***
Selbst suchten wir den richtigen Zug, der Zielname war uns entfallen, fremdes Land, fremdes Ortswort, einsilbig, Vokal a …
***
Und ein erregtes Gespräch, wie und ob ein Etwas zu reparieren sei. Wer weiß, was das war, das Etwas?
***
Und Schulstundenende, irgendwie, nachdem wir alle Pflanzen, alles Lebendige aus dem Klassenraum weggetragen hatten, obwohl die Schüler extra die Tische umgestellt hatten, um besser sehen zu können. Da standen nur noch Aufgaben auf dem Tableau, Lehrbuch Seite soundso Aufgaben von soundso bis soundso – das war das Ende.
***

... ein Wollknäuel-Schalen-Richtungssuch-Lebensrichtungs-Tag, der jetzt erwacht. Der mit seinem Morgenglockenläuten in meine Träume hinein sich schiebt.
(Und jetzt, da ich’s aufschreibe, lösen sich alle Bilder in Luft auf …)

Freitag, 9. April 2010

"Ich bin zu schlecht"

Ein kleines Mädchen spielte heute mit unseren auf der Straße, eines, das ich hier noch nie gesehen hatte. Es war ein buntes, fantasievolles, einträchtiges Kindertreiben auf unserer kleinen Straße, mit viel Lachen und viel Juchzen, so dass einem das Herz warm werden konnte.
Abends frage ich den Sohn, wer das war. – Die M. – Ob sein Freund die aus der Schule kennen würde. – Nein, die M. sei schon in der Dritten. „Aber sie muss die Dritte nochmal machen, weil sie zu schlecht ist.

Oh“, sage ich, „sprich bitte nicht so. Schau …“, und dann rede ich mit ihm, welch großes Glück es für ihn sei, weil ihm in der Schule alles so leicht falle, und dass es in seiner Klasse doch auch Kinder gebe, denen es schwerer fällt zu lesen oder zu rechnen, oder die eben mehr Zeit bräuchten. Und dass die doch bestimmt traurig darüber wären, weil sie immer nicht fertig werden und so lange für die Hausaufgaben brauchen und in den Tests so wenige Punkte bekämen, weil für sie eben alles schwieriger ist. Dass sie aber deswegen noch lange keine „schlechten“ oder „zu schlechten“ Kinder sind, und ich sie nie so nenne, und auch nicht möchte, dass er das tut. – Ja, das wisse er schon, und manche Kinder in seiner Klasse seien tatsächlich oft traurig, aber „die M., die hat das doch selbst so gesagt. Sie hat gesagt ‚Ich bin zu schlecht.‘

Oh nein, ich glaub‘ ihm das, und kann es doch kaum glauben. Wie ein Kind, solch ein kleines schon, das Selbstkonzept „Ich bin zu schlecht“ mit sich tragen muss, weil – wer weiß? – die Lehrerin oder – wer weiß? – die Eltern oder – auf jeden Fall – der allgemeine Sprachgebrauch, die Sichtweise der Gesellschaft, das Schulsystem als riesige Gut-Schlecht-Sortiermaschinerie ihr das so lange ins Ohr flüstern, bis sie es selbst verinnerlicht.



Wenn die kleine M. mal wieder in unserer Straße spielen sollte, dann möchte ich sie am liebsten auf den Schoß nehmen und ihr sagen, wie witzig ich ihre Lausbuben-Schelmen-Ideen finde und wie toll ihr glucksendes Lachen und wie schön ihr Strahleaugenzwinkern. Und dass ich glücklich bin, wenn sie hier bei uns spielt, und meine Kinder mit ihr zusammen Quatsch machen.
(Und dass ich ihr viel Kraft wünsche. Nur das würde ich in dem Moment nicht laut sagen, weil ich es ihr nämlich nicht so gut erklären könnte … Ach, kleine M. … )

Das Leben

Gerade zwei Karten an Kolleginnen geschrieben.

Die eine liegt glücklich im Wochenbett.
Die andere sitzt am Bett ihrer schwerverletzten Tochter, und niemand weiß ...

Lebenskreise ...

Donnerstag, 8. April 2010

Russischer Tag

12 Uhr mittags, wochentags – eine ungewöhnliche Zeit für unangekündigten Besuch, denke ich beim Öffnen. Erfasse mit einem Blick die Herkunft der beiden Frauen, werde neugierig, und wie erwartet kommt der wohlvertraute Akzent: ob hier jemand russisch spreche. Ja, ich, sage ich.
Die beiden sind nicht mal erstaunt. Was wiederum mich verblüfft (denn ehrlich: warum bitte sollte in einem Dorf-Neubaugebiet wie dem unsrigen, in dieser Gegend hier, irgendjemand russisch sprechen, so ganz zufällig? wenn man nicht gerade mich erwischt …).
Also gut, sie nehmen es wie es ist und legen los mit ihrer Suada über Lebenssinn und Sinnsuche, über das Einzige und das Wahre, und als sie nach kürzester Zeit ihre Bibel zücken und mir zitat-zitierend unter die Nase halten, wäre der Moment des Türschließens gewesen. Eigentlich. Wäre da nicht die geliebte Sprache, die ich sonst – außer in Selbstgesprächen (wirklich: tue ich!) – nicht praktizieren kann, deren vertraute Klänge ich sonst nie in mich aufsaugen darf …
Und so plaudere ich also weiter mit. Nicht über die Bibel – von den Sphären der „alleinigen ewigen Schrift“, der „einzig göttlichen Erleuchtung“, der „wirklich wahren Wahrheitsfindung“ (boah: ich staune, welch Vokabular ich mein eigen nennen darf!) versuche ich das Gespräch immer wieder zu konkreten Realia zu lenken: wo sie denn lebten, wo sie herkämen, dass ich auch schon in Moldawien, aber nie im Ural gewesen sei, woher ich Russisch könne und dass ich es ebenfalls entsetzlich fände, wie zu Sowjetzeiten Kathedralen gesprengt oder als „Atheismusmuseum“ zweckentfremdet wurden. Das wollen sie aber gar nicht vertiefen, sie halten mir unentwegt die Bibel unter die Nase – ich betone, dass es nun genug wäre, denn ich hätte selbst eine, sogar eine russische (na, diesmal staunen sie wenigstens).
Unser Gespräch gleitet ins Absurde ab – sie immer mit ihrer Erleuchtungswahrheit, und ich immer wieder da herausrudernd. Und doch ist die Sprache so schön, zu schön, als dass ich mich losreißen könnte. So stehen wir lange da und reden. Erleuchtet werde ich nicht, aber erfüllt wenigstens von dem Sprachklang und dem, was er in mir auslöst.
Nein, zu ihren Bibeltreffen werde ich ganz gewiss nicht kommen. Doch ja, sie dürften mir was dalassen.

***

Kein Zufall, dass ich am Nachmittag meine Slavistik-Freundin anrufe, wir alten Zeiten hinterherplaudern, uns an gute und beste Momente erinnern, an unseren verträumt-liebenswürdigen Russischdozenten und die fruchtlosen Diskussionen mit ihm, an Seminare in intimster Atmosphäre (zu zweit mit dem Prof), an unseren ritualisierten Nachseminar-Kaffee und das abendliche Bier nach der späten Literaturvorlesung, dienstags. Ja selbst unsere Altkirchenslavisch-Lerntreffen mit ihrem Motivations-Auf-und-Ab erscheinen uns in der Erinnerung als lustig-gesellige Zusammenkünfte. Verklärt, ja, sehr verklärt ist unser Rückwärtsblick …
Wir sprechen über uns und die, welche mit uns studierten. Ein paar sind Lehrerinnen: für Deutsch, Französisch, Mathe, Geschichte, Latein, Physik, für alles das, doch niemand von uns unterrichtet Russisch. Eine gestaltet derzeit – als Mutter, ehrenamtlich – Leseprojekte in einem Kindergarten (weiß ich zufällig, weil es der unsrige ist). Eine ist bei Langenscheidt, aber nur, weil sie Anglistin ist. Eine ist im diplomatischen Dienst, seit neuestem in Ruanda. --- Mit Russisch haben wir alle nichts mehr zu tun.

***

Wohl auch kein Zufall, dass ich abends in einem Blog auf den Namen Svetlana Geier stoße, die neue Übersetzerin der Dostoevskij-Romane? Kein Zufall, dass ich gestern eine neue Webseite unseres alten Literaturwissenschafts-Profs finde? Dort mit beinahe tränenvollen, sehnsüchtigen Augen in Abstracts von Bücherwelten schwelge …

***

Als abends der Sohn in den Heftchen blättert, die die Frauen dagelassen haben, stellt er fest, dass das ja lustige Buchstaben seien. Vor allem das umgedrehte R. Das sei ein „Ja“. Aber wie sieht dann das R aus? Aha, wie ein P. Aber wie ist dann das P? Wie ein N. Und das N? Wie ein H. Und das H? Das gibt es nicht.
Er ist begeistert: scheint ihm eine interessante Geheimschrift zu sein. Vermutlich wird er sie in seiner „Bande“ künftig zum Kodieren vertraulicher Dokumente nutzen. Wenn die anderen Kinder denn mitmachen …
Ach ja, ist eben doch mein Sohn: So fasziniert habe auch ich einst angefangen, die kyrillischen Buchstaben zu entziffern, fast im gleichen Alter. Allerdings aus dem Von-Anton-bis-Zylinder-Lexikon-für-Kinder, nicht aus „Wachturm“-Heftchen ;-)

Und wenn ich mir was wünschen darf, dann soll er noch in anderer Hinsicht mein Sohn sein: Dann möge nämlich auch er seine späteren Lebensentscheidungen nicht allein an Zweck- und Nützlichkeitsüberlegungen ausrichten, dann möge auch er es wagen, gelegentlich „unvernünftige“, „überflüssige“ und um viele Ecken verlaufende Wege zu beschreiten, die zu nichts „nütze“ sind. Die in keinen gescheiten Beruf münden, die allenfalls einen brotlosen Künstler aus ihm machen. Die dafür Horizonterweiterung und Perspektivenwechsel bedeuten, die einem die Augen öffnen, das Lebensspektrum bereichern und ganz einfach ein Stück Lust am Leben mit sich bringen.
So wie mir mein Slavistikstudium. Dieses total "überflüssige", "zu nichts zu gebrauchende" Slavistikstudium, dem ich "unvernünftigerweise" Jahre meines Lebens gewidmet habe. Vermutlich werde ich nie im Leben mehr eine Stunde Russisch unterrichten. Und doch: was wäre ich ohne meine Jahre in der Slavistik, was würde mir nicht alles fehlen …
Gut so, wie es war. Eine der richtigsten Entscheidungen meines Lebens, die Zeit so zu verbringen. Ja.

Mittwoch, 7. April 2010

Wunder des Erwachens

Ein Tag wie dieser ...
















daraus eine Ausschnittvergrößerung:






... lässt mich ganz still werden.

Dienstag, 6. April 2010

beobachten - im Sinnenregen

Vielleicht ist es schlicht nicht möglich, von Unerzählbarem zu erzählen. Doch immer noch drängt es mich, mein Erleben jener Tage zu teilen. Es scheint schon lange her, doch es ist mir gerade wieder sehr präsent.
Ich versuche es, weil es ein unglaublich tiefes und weitreichendes Erleben war, mich ganz im Sinnenregen zu spüren.
Ich fand und finde dort ein Geländer zum Michhalten, wenn es zu sehr kreiselt,
ich fand und finde dort ein Geländer zum Michspüren, wenn da scheinbar keine Verbindung mehr zwischen Innen und Außen besteht.
Meinem Sinnenerleben nachspüren, um Verankerung und Antenne gleichermaßen zu finden …

Meine All-Sinnes-Präsenz habe mich überfordert, schrieb ich dort. Dabei war ich selbst erstaunt, es so erlebt und vor allem so klar formuliert zu haben. War mir doch sehr bewusst, dass ich nur durch dieses Elementar-Erleben immer wieder in den Augenblick zurückzukehren vermochte, wenn Gedankengestalten in vielfältiger Form – zuweilen als stille Glut, zuweilen als züngelnde Flämmchen – am Wegesrand auftauchten und mich herauszureißen drohten.
Ich wollte ihnen nicht begegnen, diesen Gestalten, rief mir selbst „Stopp“ zu, und versuchte immer wieder, mich an meinem Sinnengeländer festzuhalten. Als bewussten Akt, als Flucht fast sah ich meinen Gang in „monotone“ Tätigkeiten, die mir mit ihrem immer gleichen Bewegungsablauf zur Meditation wurden: Bügeln, Abwaschen, Fahrräder aufpumpen, Wäsche legen, Fegen …

So einfach im Haushalt, so schwierig war dies auf meinen sonstigen Alltagswegen zu leben. Hier erwies sich der Sinnenregen eher als Sinnenflut, der ich hilflos ausgeliefert war. Von der ich mich auch jetzt überfordert fühle, lasse ich mich in vollem Umfang auf sie ein.

Will ich, was ich sehe, als Geländer mir ergreifen, wird es unerträglich, unerfassbar, was auf mich einprasselt. Im Auto zu fahren: jeder Lichteindruck kommt schnell, vergeht schnell, zu schnell, bleibt flüchtig. Mit den Bildern rasen die Assoziationen vorbei: in den Sinn, aus dem Sinn. Nur wenn ich aus Zug oder Auto heraus meinen Blick ganz bewusst in die Ferne richte, nur dann ist eine Ahnung von Verlangsamung da. Dann wirkt das Landschaftsbild als Ganzes, dann bekommt es da-seiende Sinngestalt, dann wird es mir als Lebensweltgefühl vorstellbar und erfassbar. Doch ein jeder Baum, ein jeder Zaun, der im Vordergrund vorbeirast, zerstört das Gefühl des Da-Seins sofort wieder.
Es ist ein Zuviel von allem. Der Mensch sollte zu Fuß unterwegs sein …
In Menschenmengen, in der Schule, auf dem Bahnhof, auf der Straße findet mein Blick keine Ruhe, er schweift und schweift, die Begegnungen mit Unmengen an Augenpaaren überfordern ihn. Versuche ich alles zuzulassen, bin ich in Sekundenschnelle überfordert. Meine Augen für alles zu öffnen: unmöglich, überfordernd, unverträglich mit meinem eigenen, inneren Tempo.
Nicht anders endet jeglicher Versuch, mich ganz auf akustische Sinneseindrücke einzulassen. Auch hier ein Zuviel an Lautem, Schrillem, Überforderndem.
Nein, auf diesen beiden Kanälen werde ich überflutet. Nicht, wenn ich im Garten sitze, nicht, wenn ich im Wald spaziere, nicht, wenn ich abends mit mir zur Ruhe komme. Nein, da nicht. Das sind mir die Stunden des Lauschens und Schauens. Aber auf meinen vollen Alltagswegen – da bin ich überfordert, da mag ich Augen und Ohren oft einfach nur schließen.

Vielleicht brauchte ich genau diese Erfahrung, um einen besseren, für mich gangbaren Weg zu finden: Augen und Ohren innerlich zu verschließen, nur in meinen Körper hineinzufühlen.
Spüre ich ganz tief hinein, in meine Beine und Füße, wenn sie Schritte setzen, in meine Arme und Hände, wenn sie etwas ergreifen, in meine Körpermitte, wenn ich mich bewege, in meine Körpermitte, wenn ich mich nicht bewege - das ist mir wahrlich stimmiges Erleben. Das lässt mich wach und - im Wortsinne - in mir sein.
Als besonderen Teil meines Körpers erlebe ich dabei meine Hände. Ihnen nachzuspüren, ihren Empfindungen zu folgen, meine Konzentration nur auf diese zu richten – in der Schulstunde, bei Kinderbeschäftigungen, unterwegs, bei jeglichem Tun – wie vieles ergreifen, erspüren, ertasten, erleben sie. Niemals aber sind es zwei Eindrücke gleichzeitig, niemals steigert sich das Erlebenstempo über mein eigenes hinaus, niemals weicht der Rhythmus von dem meiner eigenen Bewegung ab.
In der Hinwendung zu meinen Händen fühle ich mich nah bei mir, fühle mich mit mir verbunden, bin im Augenblick absorbiert. (Was zuweilen auch meine Familie feststellt – sind doch andere Kanäle dann ausgeschaltet.)
Hier ist Frieden, hier ist es gut, hier komme ich zur Ruhe.

Ich befürchte, ich kann das gar nicht richtig beschreiben. Es ist unsagbar, gerade weil es sich so ungeheuerlich anfühlt.

Und eine Frage stellt sich mir:
Wenn ich mich durch das Erleben meiner Hände führen lasse, wenn diese mir zentral stehen – bin ich dann nicht zu sehr im Tun und Machen befangen, gleite ich dabei nicht am Kern des Seins, des bloßen tatenlosen Seins vorbei? Ich weiß es nicht … Es fühlt sich ja dennoch richtig an, für den Moment.
Vielleicht sind mir die Hände Lehrmeister, mich darin zu schulen, auch im übertragenen Sinne das Richtige zu berühren, mit dem Richtigen in Berührung zu kommen: mit der Erde, wenn ich gehe … mit meinen Augen, wenn ich schaue … mit meinem Herz, wenn ich es öffne … mit dem anderen Menschen, wenn ich ihm liebend-mitfühlend begegne.
Nur in der uneingeschränkten Zuwendung ist Berührung richtig, nur wenn ich dazu bereit bin, werde ich vom Richtigen berührt.

Ach, ich schweife ab. Wollte ja nur erzählen, wie es sich anfühlte und anfühlt, im Sinnenmeer zu schwimmen, welches mich trägt, wenn ich mich vertrauensvoll hineinbegebe.
Es ist erschöpfend, sich so intensiv in diesem Wasser zu tummeln, weil mir Welt und Leben hier in großer Dichtigkeit und Nähe begegnen, weil sie in mich einströmen durch jede Pore. Und doch: es ist gutes, waches, richtiges Leben. Da ist kein Kreiseln.
Ja, es ist so wenig Kreiseln in diesem Sinnenregen, dass sogar Gedanken darin Platz finden. Als ruhige, nicht verwirbelnde, wortlose Begleiter. Und das fühlt sich groß an!
Doch dies erzählen zu wollen, treibt mich noch mehr in Sphären des Unerzählbaren. An dieser Stelle höre ich lieber auf …

Montag, 5. April 2010

Licht-Atem

Woher auch immer sie in mich zurückkehrte …

… ob aus der Zwiesprache, die ich gestern im Wald mit den Bäumen führte: über ihr klagloses, langandauerndes Kargsein, welches in diesen Tagen in grünexplodierenden Neuanfang mündet, und mit dem Himmel, der ein stetes dunkel-helles Wechselbad fraglos über sich ergehen, durch sich hindurch ziehen lässt, um mit seinen Farben allen Lauf der Dinge zu sprenkeln,

… ob aus dem verblühenden Strauß auf unserem Tisch, dessen Welken dem Blüten-Gelborange nichts von seiner Leuchtkraft nehmen kann, so dass einfach jeder meiner Blicke heute eingefangen wurde von schönster Lebensfarbe,

… ob aus den innigen Momenten mit den Kindern, mit denen ich nah-lesend-träumend auf dem Sofa lag, offenbar vom gleichen wohligen Gedankenwind gestreift – der Sohn sinnierend, dass wohl alle Kinder seiner Klasse, „auch die coolsten“ es lieben, so zu kuscheln – die Tochter, während sie tief einatmete: „Kinder lieben Elterngerüche.“ – ich: „-----„


… heute durfte ich sie plötzlich wieder spüren: die Verbindung zu meiner Quelle.

Wie neu gewonnene Kraft, die mich hoffentlich – Husten unverändert, Tag zehn – gesunden lassen wird.
Wie neu erwachtes Sehen, das mir, was die Fiebertage mit sich brachten, in helles Licht taucht.
Wie neu pulsierender Atem: ein und aus, ein und aus, ein und aus.
Stimmig, lebendig, lichtvoll, endlich wieder.

Sonntag, 4. April 2010

Samstag, 3. April 2010

wortlos-Stimmungen


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Freitag, 2. April 2010

Aufgestanden - aufgewacht?

Ein erster, kurzer Spaziergang.
Ich brauchte Luft, ich suchte Licht – und ich nahm sogar mein Fotografier-Auge mit.















Zum ersten Mal in diesem Jahr nahm ich die Frühlingskeime wahr, konnte eine Verbindung mit Freudenkeimen tief in mir erahnen …

Doch jetzt, am Abend, ist wieder Müdigkeit da. Erschöpfung.
Und Ohrenschmerzen. Bei der Tochter kamen die auch nach einer Woche. Na, da liege ich ja richtig im Zeitplan.

Donnerstag, 1. April 2010

Heute ist Donnerstag, ...

Ferienbeginn, aber fit geht anders.
Wattekopf, Schwindelgefühl, Gummibeine, immer noch der Drang zurück in die Horizontale. In der ich mich jetzt tagelang aufgehalten habe - im Bett, und auch mal auf dem Badboden: unverhofft, unfreiwillig - upps, ganz neue Erfahrung :(

Gestern habe ich mir den Schulvormittag zugemutet, weil noch einiges vor den Ferien erledigt werden musste (wie ich fand) - das war leichtsinnig, das war wohl zu viel.
Hustenanfälle mitten in der Geradengleichungserklärung - das macht auch ältere Schüler betreten, selbst die, die sonst immer nen lockeren Spruch parat haben. Hätte ich gar nicht gedacht :)
Siebte Klasse, Einführung Optik, beginne ich traditionell im total dunklen Raum, damit die Schüler die dann vorgeführten Lichteffekte besser wahrnehmen können - so auch gestern. Eine Klasse Pubertierender in absoluter Dunkelheit, das dauert, bis das Kreischen und Quieken sich beruhigt hat :) Immer schon. In manchen Klassen geht's gar nicht. Jedenfalls muss man lange warten. Wie ich da also am Lehrertisch angelehnt warte, dass wir anfangen können, und lausche, was alles in der Klasse im vermeintlichen Schutz der Dunkelheit kommuniziert wird, mich amüsiere drüber, wieder diese Gummibeine. Und wenn ich jetzt umkippe, denke ich, wird es niemand merken. Dann glauben die Schüler noch, das gehört dazu ...

Naja, keine gute Idee mit der Schule gestern. Auch nicht, sich von der Tochter nachmittags zum Regenspaziergang überreden zu lassen. Das flüsterte mir mein Mitleid ein, die Kinder waren jetzt tagelang soooo geduldig, weil ich nicht "im Einsatz" war. Wir laufen durch den Hagel, ich stelle wieder mal fest, dass ne Regenhose für Erwachsene im Falle von Horizontalregen nicht schlecht wäre. Die Jeans so richtig nass-kalt-klebrig am Bein - in dem Moment wird es auch der Tochter zu viel. Trotz Regenanzug. Na, dann hätte sie mir das Durchweichtwerden ja gleich ersparen können. Auch keine gute Idee, dieser Spaziergang in meinem Zustand.

Nun, besser wieder ins Bett jetzt. Wattekopf, da dringt nichts richtig nach außen, es ist alles eine innere zähe dumpfe kreisende Gedankenmasse. Die Wörter, zum Beispiel diese hier, stimmen nicht richtig. Als wenn es nicht meine wären. Obwohl das Fieber jetzt weg ist. Ich weiß noch nicht, was das soll. Irgendwas wird mir das Fieber mitgebracht haben.

Jetzt am liebsten: Lauschen. Schlafen. Träumen.
Und mir überlegen, was für Ostern alles noch vorzubereiten ist. Ich glaube, da war noch was: Strauß, Körbchen, Eier färben .... oh, wir sind arg im Zeitverzug. Und das Lauschen-Schlafen-Träumen ist arg unrealistisch :(